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// Das Flirren des Abends.


Ein Mann vor uns. Flirrende Hitze kracht auf uns nieder, lässt uns schmachten. Ich nehme nur seine Silhouette war. Sie erscheint bedrohlich. Ein breiter Gang, Arme etwas abstehend. Der Erdstaub um ihn wirbelt zu allen Seiten auf, umfängt ihn und verleiht ihm einen Kokon aus Dunst und Schatten. Noch sind es knapp 150 Meter, die der Umschleierte von uns entfernt geht.

Noch 150 Meter blaffendes Nichts zwischen uns und dem wutzerfledderten Körper.

Trotz allem bewegen wir uns weiter. Aufeinander zu. Wohl auch, weil ich der Einzige bin, der die drohende Gefahr ersinnt. Er gleicht einem wilden Bullen, der unablässig mit den Hufen scharrt und sein Territorium gegen uns verteidigen will. Um jeden Preis beschützen, was nicht unsers ist.

Noch 100 Meter. Die abendliche Sonne steht bereits tief und verklärt die Atmosphäre, verschleiert uns jedoch den Blick auf die Person, da sie sich scheinbar an dessen Rücken geheftet hat. So wie die Amsel an ihren Morgenruf gebunden ist, um der Welt Bescheid zu geben, dass es nun Zeit zum Aufstehen ist. Sie blendet uns bisweilen und das wohl mit voller Absicht. Untrennbar sind sie wohl geworden. Frevelhaft, wie unbedarft wir weitermarschieren.

80 Meter. Die Glut des nahenden Abends zerfließt scheltend im Selbstgewahren und brüht unsere Sorgen, die wir noch all die Zeit nun sorgfältig verlegt hatten, frisch auf. Dampfend werden sie uns serviert und derweil sind es auch nur noch

60 Meter. Einzelne Texturen der Kleidung werden sichtbar, die jedoch um alles andere leichtfüßig herumtribbeln. Es gibt immer noch keine klaren Linien. Sie verwahren das Gesicht weiterhin in rastloser Schwärze. Keine Augen sind auszumachen. Der sich aufsträubende Boden erwehrt sich unseres Verlangens auf Klärung und ähnelt den sich aufsträubenden Nackenhaare eines Wolfes in Drohgebärde. Eingefangen im Schafspelz der melodischen Landschaft. Trügerischer Frieden spiegelt sich hier wider.

40 Meter. Ich laufe nun noch bedachter. Antizipiere jedes Aufbäumen seinerseits. Jedes Zucken, das zum Angriff läuten könnte, wird analysiert. Ich verlangsame meine Schritte, banne den

30 Meter

vor uns laufenden, martialischen Körper. Beflissentlich, den Wanderstab fester nun im Griff, pirsche ich. Nur ich scheine vom bevorstehenden Unheil zu wissen. Alleine unter Wölfen.

20 Meter. Panik. Bisher war doch alles gut, wieso nun diese Angst?

10 Meter. Dicht gedrängte Schreie in mir. Sie verklumpen wie Teig und zerbröseln im selben Moment. 5 Meter. Das Gesicht wird deutlicher. Die Sonne hat abgelassen von ihm. Der Schutz ist dahin. Sie gibt ihn frei.

0 Meter. Gleichauf.

Die junge Frau blickt zu uns herüber, nickt freundlich und schenkt uns ein wundervolles Lächeln, gefolgt von „Eine gute Reise euch!“

- 5 Meter. Sie ist fort und ich wähne mich nun, im Dunst der Erde, in Sicherheit, eingehüllt vom Flirren der abendlichen Hitze.

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