// Heute also mal das Maul halten.
Ich lade euch zum Philosophieren ein. Das heißt, in den Worten des Homeboys Hesse, das Maul zu halten, sich auf den zu Bauch liegen und zu denken. Ganz einfach, mach mal. 31 Tage waren es, die mich über Hügel, Pfade und Grenzeswindungen geschoben haben. Flüsse mäanderten durch die Täler, Spatzen schwadronierten täglich über mir umher und die lausbübischen Buchenbuben hatten vorherbstlich bereits ihre Ekern auf den Fluren der Wälder verträufelt. 31 Tage hatte ich Wind um die Ohren und mein Nacken hat ein kakaobetrichenes, Chocolatiershäubchen bekommen. Unbekleidet war ich das fleischgewordene ebony and ivory. Ich zerfloss im Gedankenstrom der letzten Wochen. Die Wucht der Erlebnisse zerbarst an meiner inneren Nachdenklichkeit. So viel wollte doch zerkaut und erkundet werden. So vieles hatte eine Analyse verdient. Alles konnte jedoch niemals zerkleinert werden, ich musste es einfach hinnehmen und es als jenes betrachten, was es war. Eine einmalige Kostbarkeit, die lediglich durch das Nächste, das Nächste und das Nächste abgelöst werden sollte. Immer weiter trieb mich die Lust und Neugierde, die zuletzt zur Begierde wurde. Das Laufen, das Erleben war Alltag geworden. Die Ungewissheit zum immer transparenter scheinenden Gefolge. Jede Unsicherheit wich irgendwann der Bestimmung, der Tatsache. Es gab selten richtig und noch seltener falsch. Es gab die Entscheidung. Zu der stand ich, zu ihr wurde ich. Der Wald vibrierte immer stärker im Geist, sorgte für ein Gleichgewicht und gab seine Energie und seine Ungezwungenheit an mich ab. Im Umarmen der Bäume lag eine tiefe Verbundenheit mit allem, mit dem Leben. "I went to the woods, because I wished to live deliberately, to front only the essential facts of life..". Und jenes tat ich. Ich überkam Ängste, reduzierte mich aufs Nötigste und trug das Gelernte tief in mich hinein "and not, when I came to die, discover that I had not lived". Es trug sich zu, dass ich die Liebenswürdigkeit der Menschen auf dem Land neu erkannte und meine voreingenommenen Bilder umstrukturieren musste. Vertrauen, um das ich niemals gebeten hätte, wurde mir so oft geschenkt. Güte und Entgegenkommen durfte ich ebenso erfahren, wie die ständige Aufregung, die in mir hochkochte, sobald es an die Ansprache von Menschen ging, um mich eines Schlafplatzes würdig zu erweisen. Ich war plötzlich Mensch, ich durfte sein. Wie Meister Goethe das ja mal ansprach und meinte. Auch Nietzsche hatte hierzu seinen Teil zu sagen. Die Natur lieben wir, da sie uns nimmt, wie wir sind und sich nicht über uns urteilt. Hingegen zum Urbanen, Städtischen, wo man entweder beurteilt wird oder man das Gefühl hat beurteilt werden zu müssen und sogar zu wollen. Absurd. Alles war, selbstverständlich, nicht immer ein Segen und eine Wohltat. Es gab Hitze, Schmerzen und kilometerweite Langeweile — sicher. Dennoch kann ich keine dieser negativen Erfahrungen missen. Denn, ohne sie, wären die positiven weitaus weniger mächtig gewesen. So wie eine Dusche, nach zwei Tagen der Hitze und des Schweißes und dem Schlafen in einem klammen Zelt: Unbeschreibliche Vollkommenheit. Und da war ich nun. 31 Tage später. Ich hatte die Konvenienzen der Gesellschaft wieder. Tägliche Duschen, Strom im Überfluss, Essen überall und Trinken aus der heimischen Leitung. Alles war wie vor 31 Tagen. Nichts davon war mehr besonders, kein entsprechendes Glückserlebnis konnte ich mehr mit dem Kauf eines Croissants verbinden. Es war nun wieder wie zuvor. Die Natur hatte nun wieder einen grasplättenden Strolch weniger zu fürchten. Der lag nun wieder vor Netflix, da es ja Strom im Überfluss gab. Der duschte nun wieder, da es die Möglichkeit gab. Der saß nun wieder hinter einer Scheibe und hörte den mannigfaltigen Gefährten der Straße zu, wie sie Nerv tötend, hupend die Geduld und die Friedfertigkeit jedes Zuhörenden langsam in Aggression und Wut verwandelten. Die Vögel hatten nun wieder die Farben der Stadt angenommen: Grau, weiß, schwarz. Und irgendwo, versteckt im Wald des Alltags, sitzt der Seelenfrieden, liest ein gutes Buch und trinkt einen einhüllenden Genmaicha-Tee, bevor das letzte Räucherstäbchen niedergebrannt ist und die Sirenen von Krankenwagen, Polizei und Feuerwehr ihn düster aufschrecken lassen. Hier und jetzt beschließt er, die Stadt zu verlassen, sie in ihrem Qualm aus Beurteilungen, Lärm und Lieferservice, die unter 10 Minuten Shampoo und Erdnüsse bringen. Ein Drangsal, das diese Stadt aussendet. Es gleicht einer Oper: Der Fall der Stadt Berlin.. ähh Mahagonny. Verzeihung, ein ehrlicher Irrtum, ein bewusster Versprecher gar. Gut, da geht er also. Seelenfrieden war der Stadt nun leider nicht vergönnt. Naja, aber vielleicht liefert dieser 10-Minuten-Lieferdienst ja irgendeine Light-Variante des selbigen. Weniger Fett, mehr Zerfallszeit. Glückseligkeit zum aufgießen. Eine 5-Minuten-Terrine. Sprich, man wäre in 15 Minuten ganz kurz glücklich — sofern das Wasser schon aufgekocht ist, of course. Zum Ende hin möchte ich noch sagen: „Cucurucucú Paloooommaaaaaa“, wie das Pedro Infante so wunderschön singt. Nichts zu Gehaltvolles zum Abschluss, wie ihr merkt, aber, so eine musikalische Empfehlung kann ja oft auch schon Wunder wirken. Und jetzt, gehet hin und mäßigt euch.. Und trinkt Saft gefälligst mit Fruchtfleisch. Das ist gesünder, glaube ich. Euer M.
Bild: lostandfound.photo
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